Der verlorene Schatz auf Gut Karlshöhe – Geschichten aus 30 Jahren Hamburger Umweltzentrum
Von Katharina Henne, ANU Umweltpädagogin, aus dem Jahr 2003
20 Jahre lang von 1996 bis 2016 fanden auf Gut Karlshöhe mehrtägige Abenteuercamps statt, die mit viel Engagement zunächst von Lore Otto (ANU Hamburg) und später von Katharina Henne (ANU Hamburg) und Katrin Mehrer (damals Freiberuflerin der ANU) betreut wurden. Im Sinne der Erlebnispädagogik wurden die Camps mit einer Rahmengeschichte und verschiedenen Aktionen verbunden, bei denen die Kinder ganz automatisch lernten, indem sie gemeinsam ein Abenteuer bestanden, in dessen Verlauf sie z. B. etwas herstellten, sich in der Gruppe zusammenfanden und verschiedene Rätsel lösten.
Nach der Erzählung von Katharina Henne ereignete sich das beste Abenteuercamp im Jahr 2006 rund um eine Schatzgeschichte aus dem Mittelalter. Die Kinder im Alter von 7 bis 12 kamen mit Hilfe eines Zaubertranks durch eine Zeitreise im Mittelalter an. Dort waren sie arme Siedler*innen, die von Graf Karl die Erlaubnis hatten, auf dem Grund von Gut Karlshöhe zu siedeln. Sie einigten sich in einem gemeinsamen Siedler-Brief auf bestimmte Verhaltensregeln und wurden in verschiedene Zünfte aufgeteilt. So gab es z. B. die Bäcker und die Kräuterkundigen, die sich um die Ernährung der Siedler kümmerten, die Gaukler, die mittels Akrobatik für die Unterhaltung der Massen sorgten, und es gab die Zünfte der Tuchmacher, die selbst Kleidung herstellten. Das Lager befand sich auf der Lichtung. Dort übernachteten die Siedler*innen in Zelten.
Irgendwann kam im Camp das Gerücht auf, auf dem Gut sei ein Schatz versteckt, hinter dem natürlich auch Graf Karl hinterher war, denn ihm gehörten ja die Ländereien. Die Siedler*innen wollten schneller sein und den Schatz als erstes bergen. Während der Schatzsuche fand ein Kind zunächst eine von Katharina und Katrin präparierte Schatzkarte mit nummerierten Farbflecken, die offenbarte, dass sich die Siedler*innen bereits auf dem richtigen Gelände befanden. Das passierte am Vorabend des letzten Tages. Die Kinder waren so unruhig und voller Spannung darauf, wie es jetzt weitergeht, dass sie sich erst spät zum Einbruch der Dunkelheit schlafen legten.
Während der Praktikant das Lager beaufsichtigte, nahmen Katharina und Katrin endlich die Schaufeln in die Hand und vergruben in der Finsternis den Schatz – sogenannte Mutsteine in einem Leder-Beutel. Nach Aussage von Katharina befand sich das Versteck dort, wo jetzt beim Ausgang aus dem Wäldchen und Übergang zur Feuchtwiese der Steg anfängt bzw. ein kleines Stückchen weiter rechts davon, wo heute noch ein Teil des Grabens erhalten ist.
Am nächsten Morgen fand ein Kind aufgeregt den zweiten Teil der Schatzkarte. Jetzt konnten die Siedler*innen die Karten übereinander legen und den genauen Standort für die Schatz-Bergung ermitteln. Voller Eifer rüsteten sich die Kinder mit Werkzeug aus und fingen an zu graben. Nach zwei Stunden ausdauernder Buddelei ohne Erfolg wurden die Kinder mutlos und auch die Erwachsenen zuckten irritiert und ratlos mit den Schultern. Als die älteren Kinder, die bis dahin dem Wahrheitsgehalt der Geschichte immer mal wieder misstrauten, das „echte“ Erstaunen von Katharina und Katrin bemerkten, entwickelte sich eine eigenartige und faszinierende Gruppendynamik. In diesem Moment war das für alle kein Spiel mehr, sondern totaler Ernst. Hier musste es wirklich einen echten Schatz geben, der nicht von Katharina und Katrin vergraben worden war. Doch wo steckte er? Was war passiert?
Für Katharina und Katrin war klar, dass sie die Spielgeschichte schnell umstrukturieren mussten. Gemeinsam überlegten sie sich mit den Kindern verschiedene Szenarien, was geschehen sein könnte. Bald verfestigte sich die Vermutung, dass Graf Karl einfach schneller war und schon dagewesen sein muss. Und da Katharina als Wahrsagerin eine Kugel und hellseherische Fähigkeiten besaß, sagte sie voraus, dass der raffgierige Graf Karl noch einmal zu Besuch kommen würde. Der Graf vermute wohl, dass die Siedler*innen auch noch einen Teil des Schatzes hätten. Da er seinen Schatz wahrscheinlich bei sich tragen würde, schmiedeten die Siedler*innen den Plan, ihn mit List zu überwältigen. Sie lockten ihn ins Lager und machten ihn mit einem Gifttrank bewusstlos, um ihn anschließend zu durchsuchen und den Schatz tatsächlich zu finden. Als Graf Karl wieder aufwachte, entschuldigte er sich bei den Kindern dafür, dass er ihnen den Schatz genommen hatte. Denn in dem Trank befanden sich besänftigende Kräuter, die den Grafen ganz zahm gemacht hatten.
Für dieses aufregende Ende hatten Katharina und Katrin in der Zwischenzeit eine Menge zu organisieren: Die Steine mussten noch einmal besorgt, ein neuer Ledersack gebastelt und Graf Karl, den Katharinas Mann spielte, eingeweiht werden. Der ganze Aufwand habe sich aber mehr als gelohnt. Die Kinder waren sowas von glücklich und euphorisch über die erfolgreiche Schatzsuche und auch stolz darauf, dass sie das als Gruppe geschafft hatten. Zum Schluss gab es ein rauschendes Abschiedsfest zusammen mit den Eltern, die fasziniert der aufregenden Geschichte der Schatzsuche lauschten. Der „echte“ Schatz wurde allerdings nie gefunden und ist durch die Baggerarbeiten im Zuge der Modernisierung vermutlich für immer verloren …